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Es braucht eine neue Definition von Männlichkeit

2. April 2019

Es braucht eine neue Definition von Männlichkeit


Artikel aus dem Bildungskurier, Ausgabe 1/2019


Männliche Gewalt gegen Frauen ist ein komplexes Thema, das nicht auf fremdenfeindliche Agitation reduziert werden darf.

„Gewalt gegen Frauen ist von Flüchtlingen importiert“ – diese Aussage hört man in Österreich von rechtspopulistischer Seite immer wieder in unterschiedlichen Variationen. Wenn es nur so einfach wäre. Statt das Thema politisch zu instrumentalisieren, um fremdenfeindliche Agenden zu befördern, wäre es wichtig, darüber zu reden, wieso viele Buben und Männer in unserer Gesellschaft darauf konditioniert sind, Gewalt als Lösung ihrer Probleme oder Ängste zu betrachten. Wie kommt es eigentlich dazu?

Dahinterliegende Gefühle

Eine der Arten, wie wir Gewalt verstehen können, ist, dass es eine äußere Manifestation eines inneren Schmerzes ist. Darunter versteht man etwa eine tiefe, unerfüllte Sehnsucht nach Verbindung, die zu Verzweiflung und Wut führen kann. Denn gemäß den gesellschaftlichen Erwartungen und Normen sollen Männer nur bestimmte Emotionen erleben und ausleben. Ärger und Wut sind akzeptierte und erwartete Formen ihres emotionalen Ausdrucks, ganz im Gegensatz zu Leid und Vulnerabilität (Verwundbarkeit).

Neben einer Form von Schmerz ist Gewalt auch ein Mittel, um etwas zurückzuerobern, von dem Männer glauben, dass sie darauf Anspruch haben. Darunter fallen sogenannte “Beziehungstaten”, bei denen Täter ihren (Ex-)Partnerinnen physischen Schaden zufügen. Es geht um eine Anspruchsberechtigung, die Männer auf Frauen zu haben glauben, auf Flirten, auf Beziehung, auf Sexualität. Und diese ist der wirkliche Kern des Problems, nicht die Kränkung. Frauen sind auch gekränkt, wenn sie verlassen werden, bringen aber deswegen den Mann nicht um. 

Frauen als Objekte

Befördert werden jene Anspruchsberechtigung und Gewalt mitunter durch massenmedial dargestellte Geschlechterrollen und Ideale von Schönheit, die Frauen objektivieren. Frauen werden häufig als sexuell verfügbare Objekte dargestellt, die man erwerben und besitzen kann: Die Frau als willenlose, gefügige Ware, die man mit einer bestimmten Biersorte oder einem Parfum dazu bekommt. Das weckt Erwartungen und Anspruchsgelüste. Laut der Medienpsychologin Jean Kilbourne führen diese Bilder unweigerlich zu einer Normalisierung sexueller Übergriffe. Sie argumentiert, dass derartige Bilder zwar nicht direkt Gewalt gegen Frauen verursachen, aber ein Klima schaffen, in dem Frauen als Dinge gesehen werden. Und einen Menschen als ein Ding zu betrachten ist fast immer der erste Schritt dafür, Gewalt zu rechtfertigen. 

Weibliche Unversehrbarkeit

Dass sexuelle Übergriffe normalisiert werden, drückt sich auch in Praktiken von Victim Blaming aus. Körperliche und seelische Unversehrbarkeit von Frauen wird im öffentlichen Diskurs nicht als Recht, sondern als Privileg behandelt, auf das sie aufpassen müssen, da sie sonst die Quittung präsentiert bekommen. Diese „Message“ wird von obersten Instanzen vermittelt, etwa von einem deutschen Polizeipräsidenten, der Frauen im November 2018 öffentlich den Ratschlag erteilte: „Macht euch nicht wehrlos mit Alkohol oder Drogen“. Dabei stellen sich eindringliche Fragen: Haben Frauen nicht ebenso ein Recht auf Kontrollverlust, Rausch und Exzess, ohne dass ihre Wehrlosigkeit für einseitige sexuelle Gelüste benutzt wird? Warum leben wir immer noch in einer Gesellschaft, in der es die Aufgabe der Frau ist, keine Geschädigte von sexueller Gewalt zu werden? Warum wird in einem derartigen Übermaß auf die Pflichten der (potenziellen) Opfer verwiesen? Wie kommt es dazu, dass die Täterrolle im Gegenzug kaum thematisiert wird?

Gewaltprävention

Den Fokus auf Frauen zu legen, wird uns hinsichtlich der Prävention von Gewalt nicht viel weiterbringen. Wir sollten uns also mehr mit der (potenziellen) Täterrolle beschäftigen: Sind Übergriffe dann vielleicht nicht doch vermeidbar? Etwa durch mehr Vorsicht und Umsicht und Zurückhaltung – nicht vonseiten der Frauen, sondern vonseiten von Männern? Wie verhält man sich als Mann in unangenehmen Gruppensituationen, in denen sexuelle Übergriffe verharmlost werden? Was tun, wenn man mitbekommt, dass ein anderer Mann es darauf anlegt, eine betrunkene Frau für seine sexuellen Interessen zu benutzen? Und allgemein: Woher kommt das Bedürfnis nach sexuellen Machtdemonstrationen und der Lust nach Erniedrigung? Warum finden so viele körperliche, emotionale und verbale Übergriffe von Männern gegenüber Frauen und Mädchen, so wie auch gegenüber Männern und Buben statt? Welche Rolle spielen die Familienstrukturen, die Sportkultur, religiöse Überzeugungen oder Massenmedien dabei, derartige Verhaltensweisen zu produzieren?

Vulnerabilität zulassen

Wenn wir Männlichkeit in eine gesunde Identität verwandeln wollen, die nicht auf der Unterwerfung von Frauen beruht, müssen wir verstärkt Bewusstsein schaffen und Vorbildwirkung forcieren. Buben muss schon sehr früh beigebracht werden, dass Mädchen keine Trophäen sind, sondern Mitmenschen. Sie müssen lernen, dass es stark sein kann, die eigenen verletzlichen Emotionen zuzulassen, dass es menschlich ist, empfindsam zu sein. Jungen Männern muss vermittelt werden, dass sexuelle Ablehnung nichts mit Versagen zu tun hat und Frauen nicht dafür da sind, die Bedürfnisse von Männern zu erfüllen. Das Ziel muss sein, dass als schwach und unmännlich gilt, wenn man es nötig hat, eine Frau zu demütigen oder gar zu verletzen, um sich selbst gut zu fühlen.

Auch intime Gespräche zwischen Männern sind wichtig, um sich regelmäßig zu öffnen, Verletzlichkeit zu praktizieren. Männer neigen dazu, emotionale Traumata für sich zu behalten oder weibliche Unterstützung zu suchen. Sie fühlen sich oft zerrissen zwischen dem Männlichkeitsdruck und dem Wunsch, Gefühle zu zeigen und zu empfangen. Diese Belastungsprobe wäre vermeidbar.

Deshalb ist es im Sinne aller Gesellschaftsmitglieder, an einer neuen Definition und Repräsentation von Männlichkeit zu arbeiten, die weniger Leid produziert.

Laura Wiesböck
ist Soziologin an der Universität Wien und forscht zu sozialer Ungleichheit. Ihre Arbeiten wurden u.a. mit dem Theodor Körner Preis und dem Bank Austria Forschungspreis ausgezeichnet.

Die vollständige Ausgabe des Bildungkuriers ist hier zu finden.



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