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Bildungskurier: “Krankenkassen gehören den Versicherten – nicht Staat, Politik oder Konzernen!”

24. September 2018

Bildungskurier: “Krankenkassen gehören den Versicherten – nicht Staat, Politik oder Konzernen!”

 

Welche Bedeutung die Selbstverwaltung der Krankenkassen hat und warum es wert ist, sie mit aller Kraft zu verteidigen, erklärt OÖ GKK-Obmann Albert Maringer im Interview mit dem Bildungskurier.

Bildungskurier:
Für Versicherte ist die Im Interview Selbstverwaltung – zum Beispiel bei den Gebietskrankenkassen – kaum merkbar. Welche Rolle spielt diese Selbstverwaltung
für die Arbeit der Krankenkassen?

Maringer:
Die Selbstverwaltung wurde unter dramatischen Umständen geboren: Im 19. Jahrhundert hatten die Arbeiter keinerlei Absicherung bei Krankheit oder Tod. Nach einem Schicksalsschlag standen viele Familien vor dem Ruin. Politik und Wirtschaft ließen die Arbeiter im Stich, boten keine soziale Absicherung. In ihrer Not gründeten die Arbeiter
ab 1850 ihre eigenen – sprich: selbstverwalteten – Krankenkassen. Das Prinzip: Jeder Arbeiter im Betrieb zahlte regelmäßig einen kleinen Anteil seines Lohns in die sogenannte „Bruderlade“ ein – eine Art Handkasse. Sollte der nächste Kumpel verunglücken, so würde „die Kasse“ alle nötigen medizinischen und sozialen Leistungen begleichen. Was dabei keine Rolle spielte: Wie viel der Erkrankte zuvor in die Bruderlade eingezahlt hatte. Entscheidend war nur das Solidaritätsprinzip: Einer für alle – alle für einen. Denn jeder Kumpel – ganz gleich ob jung oder alt, gesund oder krank – konnte als nächster erkranken oder sterben. Diese Existenzangst plagte alle im gleichen Ausmaß. Als Riskengemeinschaft konnte man sie überwinden.

Bildungskurier:
Wie viel von diesem „Gründergeist“ ist heute noch erhalten?

Maringer:
Unsere modernen sozialen Krankenkassen funktionieren unverändert nach dem Prinzip der Selbstverwaltung – heute im größeren Stil und betriebsübergreifend. Gebietskrankenkassen sichern den solidarisch organisierten Selbstschutz der gefährdeten Personengruppe. Sie werden durch Versicherte und Dienstgeber aus der Region selbst verwaltet, also bürgernah und nicht ferngesteuert. Bis heute gehören die Krankenkassen allein uns Versicherten – nicht dem Staat, nicht der Politik, nicht einem Konzern. Dieses Erbe unserer Urgroßväter sollten wir nicht mit Füßen treten. Außer wir wollen uns erneut der Situation vor 1850 ausliefern …

Bildungskurier:
In den ASVG-Kranken und Pensionsversicherungen dominieren die Arbeitnehmervertreter, in der AUVA die Arbeitgebervertreter, warum ist das so?

Maringer:
Das liegt an den unterschiedlichen Zwecken der Versicherungen. Die Kranken- und Pensionsversicherung – ich bleibe jetzt im ASVG – wurde von den ArbeitnehmerInnen selbst gegründet. Ziel war und ist die gegenseitige, solidarische Absicherung der Versichertengemeinschaft bei Wechselfällen wie Krankheit, Berufsunfähigkeit oder Alter.
Die Beiträge zur Kranken- und Pensionsversicherung stammen im Wesentlichen aus dem Arbeitsverdienst der Versicherten, werden aber paritätisch von Arbeitgebern und Arbeitnehmern an die
Kassen abgeführt. Versichert sind aber ausschließlich Arbeitnehmer. Logischerweise überwiegen in den Gremien der GKKs und PVA Arbeitnehmer-Vertreter, weil es ja deren Versicherung ist.
Die Gründung der sozialen Unfallversicherung folgte einer anderen Logik. Sie ging von den Dienstgebern aus. Die Unfallversicherung löste Ende des 19. Jahrhunderts die Haftpflicht des einzel-
nen Unternehmers ab und begründet eine auf öffentlich-rechtlicher Basis beruhende Gesamthaftung aller Unternehmen. Die Haftung der Dienstgeber wurde dadurch auf einen Regressanspruch des Versicherungsträgers bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Schädigung eingeschränkt. Die Beiträge zur sozialen Unfallversicherung werden im Wesentlichen vom Arbeitsverdienst der Arbeitnehmer bemessen und vom Dienstgeber abgeführt. In den Gremien der Unfallversicherung sitzen überwiegend Dienstgeber-Vertreter. Zum Versichertenkreis der AUVA zählen im Übrigen auch die Dienstgeber selbst.

Bildungskurier:
Die Bedeutung der Selbstverwaltung der österreichischen Sozialversicherungseinrichtungen wird immer wieder betont, welche Rolle spielt dieses Prinzip im politischen System Österreichs?

Maringer:
Das „Bruderladen-System“ war so erfolgreich, dass es der Staat 1889 erstmals auf eine allgemeine gesetzliche Basis hob. Nicht zuletzt durch das ASVG von 1956 sind Selbstverwaltung und Sozialversicherung untrennbar verbunden. Diese erprobte Allianz bildet die Basis für den inneren Frieden einer solidarischen Gemeinschaft, schafft sozialen Ausgleich und minimiert das Risiko finanzieller Belastungen nach Krankheit oder Unglücksfällen – damals wie heute. Ich stehe nicht an zu sagen: Die politische Stabilität in Österreich verdanken wir zu einem Großteil dem System der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung!

Bildungskurier:
In den vorliegenden Plänen der Regierung soll die Einbeziehung der Sozialpartner nicht abgeschafft, aber stark verändert werden. Was ist von diesen Vorhaben zu halten?

Maringer:
In Österreich reden viele Menschen im Arbeits- und Sozialrecht mit, die selbst einen Betrieb führen bzw. Arbeitnehmer sind. Ich finde das großartig! In der Arbeiter- und Wirtschaftskammer sind Menschen engagiert, die einen direkten Bezug zum Wirtschaftsleben haben. Es ist gut, wenn der Staat wichtige Aufgaben an diese unmittelbar betroffene Personengruppe überträgt. Weil die muss nachher auch mit den Entscheidungen leben können. In Wahrheit sorgen die Sozialpartner für Bodenhaftung und Alltagsnähe in gesetzlichen Entscheidungen. Die wahre „Schattenregierung“ sind derzeit die Industrie-Lobbyisten, die – ohne jede demokratische Legitimation – der Regierung ihre Pläne diktieren.

Bildungskurier:
Welche Überlegungen zur Verteidigung der Selbstverwaltung gibt es für die anstehende Auseinandersetzung mit der Bundesregierung?

Maringer:
Wir beobachten ein spannendes Phänomen. Je stärker die Bundesregierung auf der Selbstverwaltung herumhackt, desto bekannter wird diese. Die Regierung popularisiert für uns gerade eine „trockene“ Materie, die zuvor kaum jemanden interessiert hätte. Wir werden diese neue Lage zu nutzen wissen …

 

 

Der Autor

  Albert Maringer ist Obmann der oberösterreichischen
Gebietskrankenkasse.

 

Die vollständige Ausgabe des Bildungkuriers ist hier zu finden.

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